Interview
Frage: Herr Weiß, Ihr Buch ist ein regelrechter Rundumschlag auf das derzeitige politische Treiben. Halten Sie alle Ihre Ex-Kollegen pauschal für dumm und unfähig?
Antwort: Das sicher nicht, sonst würden es die Spitzenkräfte gar nicht bis ganz nach vorne schaffen, geschweige denn sich mehr oder minder lange oben halten, so wie heute der Focus der Öffentlichkeit auf einem Politiker liegt. Viele könnten auch ganz anders. Aber unsere Politikerausbildung – wenn man das einmal so nennen will – halte ich für total verkorkst. In einer Partei wird man heute vor allem dadurch groß, dass man alles, was die eigene Führung beschließt, hemmungslos schön redet und alles, was das andere Lager beschließt, ungesehen verteufelt. Dieses „Linie halten“ ist für eine zielgerichtete Politik so lange sinnvoll, wie wenigstens die Parteiführung noch eine Richtung vorgibt. Aber wenn diese, wie heute weit verbreitet, nicht mehr führt, sondern nach Umfragewerten regiert, läuft sich der ganze politische Betrieb tot, wie der Hund, der im Kreis rennt, um seinen Schwanz zu jagen. Politik führt das Volk nicht mehr, erklärt nichts mehr, wird zum reinen Staatsschauspiel. Show als Placebo für Handeln eben.
Frage: Ist das nicht etwas radikal formuliert? Politik ist doch die Kunst des Kompromisses. Man kann in einer Demokratie doch nicht erwarten, dass sich eine Seite vollständig durchsetzt.
Antwort: Schon, aber bevor ich mit einem anderen einen Kompromiss schließen kann, muss ich selbst zunächst einen Standpunkt haben. Und der Kompromiss muss dahin gehen, dass er ein erkanntes Problem bestmöglich löst. Bei Formelkompromissen nach dem Motto „allen wohl und keinem wehe“ kommt man der Lösung von Problemen doch keinen Schritt näher. Man verschiebt sie nur in die Zukunft – zu Lasten unserer Kinder und Kindeskinder. Schauen Sie sich nur das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen vom Herbst 2013 an. Da sind doch keine Kompromisse gesucht worden, um anstehende Probleme zu lösen, sondern jeder der Koalitionäre hat seine Herzensanliegen erfüllt bekommen. Und die Widersprüche werden mit Geld zugekleistert, das wir den nächsten Generationen wegnehmen. Natürlich sprudeln bei uns die Steuereinnahmen. Wir müssen derzeit keine Schulden aufnehmen. Aber wir stecken das Geld beispielsweise nicht in die zunehmend verfallende Infrastruktur sondern in neue soziale Segnungen für die jetzigen Generationen: Mütterrente, Betreuungsgeld, Rente mit 63. Die Ausländermaut ist da wiederum nur ein Placebo, um das zu verdecken. Wir sind auf dem Weg Griechenlands, nur ein bis zwei Jahrzehnte hinten dran.
Frage: Wo kommt es denn her, dass die Politiker mit ihrem Volk nicht mehr Tacheles reden, keine klare Position mehr beziehen?
Antwort: Die Menschen wollen doch eigentlich alle gerne glauben, dass Politiker ihnen ein schmerz- und sorgenfreies Leben ohne Müh und Not verschaffen können. Und Politiker wollen wieder gewählt werden, und wissen, dass sie den Menschen dafür diese Scheinwelt verkaufen müssen. Oder glaubt etwa jemand wirklich, dass Horst Seehofer Strom in die Steckdosen zaubern kann – und das sogar ohne Kabel? Selbst die Bayerische Wirtschaftsministerin Ilse Aigner hat inzwischen offenbar Zweifel, dass es ohne neue Stromtrassen klappen könnte und verlegt sich ersatzweise auf das St.-Florians-Prinzip: Wenn schon, dann aber nur in den Nachbarländern Hessen und Thüringen. Aus der Atomkraft aussteigen, und zwar sowohl ohne neue Stromtrassen wie auch ohne Windräder oder Pumpspeicher vor der eigenen Haustür, das klingt nicht nur zu schön, um wahr zu sein. Aber es funktioniert anscheinend als Lockmittel für den Wähler. Jedenfalls so lange, bis sich wieder einmal ein Politiker entzaubert, weil er so ein Versprechen nicht einhalten kann. Aber dann überlegt man als Wähler auch nicht, ob das Versprechen unrealistisch war, sondern folgt lieber dem nächsten Rattenfänger, von dem man hofft, dass der es hin bekommt. Das größte Phänomen an Karl-Theodor zu Guttenberg war für mich, dass er den Menschen auch unangenehme Dinge sagen konnte und das Volk rief: „Endlich sagt´s mal einer“. Wenn einer wie ich damals gesagt hätte: „In Afghanistan herrscht Krieg“, wäre er bestenfalls in die ultrarechte Ecke gestellt worden. Es kommt auch viel darauf an, wer etwas sagt. Das ist eine Gabe. Ob die Menschen allerdings auch noch gejubelt hätten, wenn Guttenberg gesagt hätte: „Wenn Ihr keine Kinder mehr bekommen wollt, dann müsst Ihr eben alle länger arbeiten und Abstriche bei der Rente hinnehmen, das ist ein ganz einfacher, mathematischer Zusammenhang!“, wäre zu beweisen gewesen.
Frage: Wieso regt sich dann in den Parteien nicht viel mehr Widerspruch?
Antwort: Karriere macht man wie gesagt dann in den Parteien, wenn man zum schnellen, vordergründigen Wahlerfolg beiträgt. Wer aus der Reihe tanzt, wird belächelt. Es gilt inzwischen als unprofessionell, sich zuvörderst mit der Lösung eines Problems zu befassen und nicht damit, wie das denn beim Wähler ankommt. Und je absurder der Vorschlag der Parteioberen ist, umso mehr kann man sich profilieren, wenn man den Quatsch mit aller Verve verteidigt. So sehr über seinen Schatten springen kann mancher dann doch nicht. Auf diese Weise Führungspersonal zu gewinnen – nämlich denjenigen, der die größte Selbstverleugnung aufbringt – kann aber auf Dauer nicht gesund sein. Nicht für das Führungspersonal der Parteien und nicht für politische Führung allgemein. Wenn Wahlerfolg das einzige Ziel ist und der Wahlkampfslogan dafür lautet: „Nichts ist erfolgreicher als der Erfolg“, dann werden zunächst Stimmenverhältnisse zementiert, so wie das zur Zeit der Fall ist. Wenn jeder dem Volk nach dem Maul redet und keine Unterschiede mehr erkennbar sind, dann kann man gleich denjenigen immer wieder wählen, der gerade am Ruder ist. Vor allem deshalb sind die Umfragewerte der Union und der SPD wie zementiert. Was sich aber im Gegensatz zu den Umfragewerten nicht zementieren läßt, sind die Lebensverhältnisse. Und wenn die Wahlversprechungen floppen und die Lebensverhältnisse ins Tanzen geraten, dann bröckelt das Vertrauensfundament in die Politik.
Frage: Das klingt alles nach sehr merkwürdigen Herrschaftstechniken, die da eingerissen sind?
Antwort: „Herrschafts-„ Techniken ist genau das richtige Wort. Es geht vor allem noch um´s „Herrschen“. Das ist etwas anderes als „Regieren“ oder „Führen“. Wer herrschen will, der will vor allem einfach nur seinen Machtanspruch durchsetzen, meist mit starken aber leeren Machtworten. Nicht selten wird dieser Herrschaftsanspruch dann im menschlichen Umgang garniert mit deutlich überkompensierten Minderwertigkeitskomplexen, was die Sache nicht gerade einfacher macht. Und wenn dem dann unkommentiert gefolgt wird heißt das: „Ich bin obenauf“. Herrschen richtet sich nach innen, an die eigene Partei, führen oder regieren würde sich an´s Volk richten. Die Machtworte fallen wohl auch deshalb so harsch aus, damit man nicht versucht ist, angesichts der unfreiwilligen Komik des Gesagten laut los zu lachen. So wie Kinder sich selbst zwicken, wenn sie in einer ernsten Situation nicht lachen sollen. Ich muss nochmal auf Horst Seehofers Energiepolitik kommen, ohne dass das jetzt alleine für die CSU Gültigkeit hätte. Aber das Beispiel liegt so nahe. Franz Josef Strauß hat früher über die Grünen gespottet, sie seien „gegen Atomkraft und für Strom aus der Steckdose“. Da kann man doch nicht ernst bleiben, wenn wir heute dasselbe vertreten wie damals die Grünen – außer ein besonders starkes Machtwort vergällt einem das Lachen.
Frage: Planen Sie irgendwann ein Comeback in der Politik?
Antwort: Ich bin wieder in der Kommunalpolitik gelandet, wo ich vor zwanzig Jahren einmal angefangen habe. Im Stadtrat meiner Heimatstadt. Das macht mir Freude, ich kann mich einbringen und mein Lebensumfeld unmittelbar mitgestalten. Die Erfahrungen in der „großen Politik“ sind ganz hilfreich auch für die Basisarbeit. Und es ist so etwas wie weiße Salbe gegen den Phantomschmerz nach der Amputation des politischen Mandates. Im Ernst: Ich habe auch schon mit dem Gedanken gespielt. Nach meinem ersten Buch, in dem ich beschrieben habe, worüber die Politik einmal inhaltlich nachdenken sollte. Ich habe viel Lob von ganz überraschender Seite erfahren. Geändert hat sich inhaltlich aber nichts. Das hat mich in dem bestärkt, was ich jetzt geschrieben habe. Und wenn ich selbst an das glaube, was ich in meinem Buch schreibe, müsste ich ein Comeback anders angehen als gerade so ein Buch zu schreiben. Dann müsste ich an die Front und am lautesten schreien: „Eins und eins ist fünf, das Wahlvolk will es so, der Parteivorstand hat es deshalb beschlossen und in einer Demokratie hat die Politik auch den Primat über die Mathematik zu haben.“ Das lag mir noch nie so sonderlich. Um Erfahrungen, die ich in der Politik gemacht habe, für das Gemeinwohl zu nutzen, wenn der Ausdruck nicht zu hoch gestochen ist, bleibt mir vor allem das, was ich jetzt wieder gemacht habe, nämlich zur Feder zu greifen, die ja bekanntlich sogar mächtiger ist als das Schwert.
Frage: Was also bezwecken Sie mit Ihrem Buch?
Antwort: Ich bin und bleibe ein politischer Mensch, der sich einmischen und Gehör finden will. Sicher will ich versuchen, die Ex-Kollegen ein wach zu rütteln – die allermeisten könnten wie gesagt auch anders. Und ich will dazu beitragen, dass die Bevölkerung nicht gleich vom Glauben abfällt, wenn Politiker ihre Versprechen nicht halten können, sondern die Dinge etwas abgeklärter sieht. Wir haben uns alle bequem im hier und jetzt eingerichtet und überbieten uns darin, dem Wähler eine immer rosigere Zukunft zu versprechen. Die Gewitterwolken stehen aber schon am Horizont. Man kann das fatalistisch sehen, etwa in der Euro- und Bankenkrise. Nach dem Motto: „Geld geht immer mal wieder kaputt im Verlauf der Weltgeschichte, da wächst schon wieder etwas Neues“. Aber gerade die Deutschen sind aus ihrer Geschichte heraus da unglaublich sensibel und insgesamt ein fortschreitend hysterisches Volk, wenn es um die eigenen Interessen geht. Gerade wir müssten wissen, dass Staaten nichts für die Ewigkeit sind. Wir hatten in den letzten hundert Jahren fünf höchst unterschiedliche Staatsgebilde auf deutschem Boden. Das ist weltgeschichtlich eine sehr kurze Zeitspanne. Ich möchte nicht erleben müssen, dass eine zornige Bevölkerung unsere ganze Gesellschaftsordnung hinwegspült, weil die Politik ihr zu lange versprochen hat, es geht immer so weiter, und die Seifenblase irgendwann platzt.
Frage: Was sollte der Bürger tun und was ist von der Forderung nach mehr Bürgerbeteiligung zu halten?
Antwort: Ich bin vor vielen Jahren einmal von einem Journalisten gefragt worden, wieso ich Politik mache. Die Antwort mußte ich bis heute nicht überdenken: „Nicht so sehr, um Macht über andere auszuüben, sondern, damit keiner unkontrolliert Macht über mich ausübt“. Ich glaube, wenn viele in der Bevölkerung so denken würden, wären wir ein gutes Stück weiter. Das bedeutet aber, dass man sich ganz allgemein mehr für die Dinge des Gemeinwesens interessiert und nicht nur im Einzelfall, wenn man selbst betroffen ist. Die „Bürgerbeteiligung“, die mancher Politiker heute so sehr betont, heißt meist nur, dass man selbst aus der Führungsverantwortung entlassen werden will und dem Bürger bei kniffligen Einzelfragen die Verantwortung zurück schiebt. Daraus entstehen Klientelpolitik und Wutbürgertum. Aber keiner schaut mehr hin, was die Politiker im Allgemeinen sonst so treiben. Also, liebe Bürger: den Politikern genau auf die Finger schauen, nicht nur, wenn es um etwas geht, das einen selbst direkt betrifft!
Antwort: Das sicher nicht, sonst würden es die Spitzenkräfte gar nicht bis ganz nach vorne schaffen, geschweige denn sich mehr oder minder lange oben halten, so wie heute der Focus der Öffentlichkeit auf einem Politiker liegt. Viele könnten auch ganz anders. Aber unsere Politikerausbildung – wenn man das einmal so nennen will – halte ich für total verkorkst. In einer Partei wird man heute vor allem dadurch groß, dass man alles, was die eigene Führung beschließt, hemmungslos schön redet und alles, was das andere Lager beschließt, ungesehen verteufelt. Dieses „Linie halten“ ist für eine zielgerichtete Politik so lange sinnvoll, wie wenigstens die Parteiführung noch eine Richtung vorgibt. Aber wenn diese, wie heute weit verbreitet, nicht mehr führt, sondern nach Umfragewerten regiert, läuft sich der ganze politische Betrieb tot, wie der Hund, der im Kreis rennt, um seinen Schwanz zu jagen. Politik führt das Volk nicht mehr, erklärt nichts mehr, wird zum reinen Staatsschauspiel. Show als Placebo für Handeln eben.
Frage: Ist das nicht etwas radikal formuliert? Politik ist doch die Kunst des Kompromisses. Man kann in einer Demokratie doch nicht erwarten, dass sich eine Seite vollständig durchsetzt.
Antwort: Schon, aber bevor ich mit einem anderen einen Kompromiss schließen kann, muss ich selbst zunächst einen Standpunkt haben. Und der Kompromiss muss dahin gehen, dass er ein erkanntes Problem bestmöglich löst. Bei Formelkompromissen nach dem Motto „allen wohl und keinem wehe“ kommt man der Lösung von Problemen doch keinen Schritt näher. Man verschiebt sie nur in die Zukunft – zu Lasten unserer Kinder und Kindeskinder. Schauen Sie sich nur das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen vom Herbst 2013 an. Da sind doch keine Kompromisse gesucht worden, um anstehende Probleme zu lösen, sondern jeder der Koalitionäre hat seine Herzensanliegen erfüllt bekommen. Und die Widersprüche werden mit Geld zugekleistert, das wir den nächsten Generationen wegnehmen. Natürlich sprudeln bei uns die Steuereinnahmen. Wir müssen derzeit keine Schulden aufnehmen. Aber wir stecken das Geld beispielsweise nicht in die zunehmend verfallende Infrastruktur sondern in neue soziale Segnungen für die jetzigen Generationen: Mütterrente, Betreuungsgeld, Rente mit 63. Die Ausländermaut ist da wiederum nur ein Placebo, um das zu verdecken. Wir sind auf dem Weg Griechenlands, nur ein bis zwei Jahrzehnte hinten dran.
Frage: Wo kommt es denn her, dass die Politiker mit ihrem Volk nicht mehr Tacheles reden, keine klare Position mehr beziehen?
Antwort: Die Menschen wollen doch eigentlich alle gerne glauben, dass Politiker ihnen ein schmerz- und sorgenfreies Leben ohne Müh und Not verschaffen können. Und Politiker wollen wieder gewählt werden, und wissen, dass sie den Menschen dafür diese Scheinwelt verkaufen müssen. Oder glaubt etwa jemand wirklich, dass Horst Seehofer Strom in die Steckdosen zaubern kann – und das sogar ohne Kabel? Selbst die Bayerische Wirtschaftsministerin Ilse Aigner hat inzwischen offenbar Zweifel, dass es ohne neue Stromtrassen klappen könnte und verlegt sich ersatzweise auf das St.-Florians-Prinzip: Wenn schon, dann aber nur in den Nachbarländern Hessen und Thüringen. Aus der Atomkraft aussteigen, und zwar sowohl ohne neue Stromtrassen wie auch ohne Windräder oder Pumpspeicher vor der eigenen Haustür, das klingt nicht nur zu schön, um wahr zu sein. Aber es funktioniert anscheinend als Lockmittel für den Wähler. Jedenfalls so lange, bis sich wieder einmal ein Politiker entzaubert, weil er so ein Versprechen nicht einhalten kann. Aber dann überlegt man als Wähler auch nicht, ob das Versprechen unrealistisch war, sondern folgt lieber dem nächsten Rattenfänger, von dem man hofft, dass der es hin bekommt. Das größte Phänomen an Karl-Theodor zu Guttenberg war für mich, dass er den Menschen auch unangenehme Dinge sagen konnte und das Volk rief: „Endlich sagt´s mal einer“. Wenn einer wie ich damals gesagt hätte: „In Afghanistan herrscht Krieg“, wäre er bestenfalls in die ultrarechte Ecke gestellt worden. Es kommt auch viel darauf an, wer etwas sagt. Das ist eine Gabe. Ob die Menschen allerdings auch noch gejubelt hätten, wenn Guttenberg gesagt hätte: „Wenn Ihr keine Kinder mehr bekommen wollt, dann müsst Ihr eben alle länger arbeiten und Abstriche bei der Rente hinnehmen, das ist ein ganz einfacher, mathematischer Zusammenhang!“, wäre zu beweisen gewesen.
Frage: Wieso regt sich dann in den Parteien nicht viel mehr Widerspruch?
Antwort: Karriere macht man wie gesagt dann in den Parteien, wenn man zum schnellen, vordergründigen Wahlerfolg beiträgt. Wer aus der Reihe tanzt, wird belächelt. Es gilt inzwischen als unprofessionell, sich zuvörderst mit der Lösung eines Problems zu befassen und nicht damit, wie das denn beim Wähler ankommt. Und je absurder der Vorschlag der Parteioberen ist, umso mehr kann man sich profilieren, wenn man den Quatsch mit aller Verve verteidigt. So sehr über seinen Schatten springen kann mancher dann doch nicht. Auf diese Weise Führungspersonal zu gewinnen – nämlich denjenigen, der die größte Selbstverleugnung aufbringt – kann aber auf Dauer nicht gesund sein. Nicht für das Führungspersonal der Parteien und nicht für politische Führung allgemein. Wenn Wahlerfolg das einzige Ziel ist und der Wahlkampfslogan dafür lautet: „Nichts ist erfolgreicher als der Erfolg“, dann werden zunächst Stimmenverhältnisse zementiert, so wie das zur Zeit der Fall ist. Wenn jeder dem Volk nach dem Maul redet und keine Unterschiede mehr erkennbar sind, dann kann man gleich denjenigen immer wieder wählen, der gerade am Ruder ist. Vor allem deshalb sind die Umfragewerte der Union und der SPD wie zementiert. Was sich aber im Gegensatz zu den Umfragewerten nicht zementieren läßt, sind die Lebensverhältnisse. Und wenn die Wahlversprechungen floppen und die Lebensverhältnisse ins Tanzen geraten, dann bröckelt das Vertrauensfundament in die Politik.
Frage: Das klingt alles nach sehr merkwürdigen Herrschaftstechniken, die da eingerissen sind?
Antwort: „Herrschafts-„ Techniken ist genau das richtige Wort. Es geht vor allem noch um´s „Herrschen“. Das ist etwas anderes als „Regieren“ oder „Führen“. Wer herrschen will, der will vor allem einfach nur seinen Machtanspruch durchsetzen, meist mit starken aber leeren Machtworten. Nicht selten wird dieser Herrschaftsanspruch dann im menschlichen Umgang garniert mit deutlich überkompensierten Minderwertigkeitskomplexen, was die Sache nicht gerade einfacher macht. Und wenn dem dann unkommentiert gefolgt wird heißt das: „Ich bin obenauf“. Herrschen richtet sich nach innen, an die eigene Partei, führen oder regieren würde sich an´s Volk richten. Die Machtworte fallen wohl auch deshalb so harsch aus, damit man nicht versucht ist, angesichts der unfreiwilligen Komik des Gesagten laut los zu lachen. So wie Kinder sich selbst zwicken, wenn sie in einer ernsten Situation nicht lachen sollen. Ich muss nochmal auf Horst Seehofers Energiepolitik kommen, ohne dass das jetzt alleine für die CSU Gültigkeit hätte. Aber das Beispiel liegt so nahe. Franz Josef Strauß hat früher über die Grünen gespottet, sie seien „gegen Atomkraft und für Strom aus der Steckdose“. Da kann man doch nicht ernst bleiben, wenn wir heute dasselbe vertreten wie damals die Grünen – außer ein besonders starkes Machtwort vergällt einem das Lachen.
Frage: Planen Sie irgendwann ein Comeback in der Politik?
Antwort: Ich bin wieder in der Kommunalpolitik gelandet, wo ich vor zwanzig Jahren einmal angefangen habe. Im Stadtrat meiner Heimatstadt. Das macht mir Freude, ich kann mich einbringen und mein Lebensumfeld unmittelbar mitgestalten. Die Erfahrungen in der „großen Politik“ sind ganz hilfreich auch für die Basisarbeit. Und es ist so etwas wie weiße Salbe gegen den Phantomschmerz nach der Amputation des politischen Mandates. Im Ernst: Ich habe auch schon mit dem Gedanken gespielt. Nach meinem ersten Buch, in dem ich beschrieben habe, worüber die Politik einmal inhaltlich nachdenken sollte. Ich habe viel Lob von ganz überraschender Seite erfahren. Geändert hat sich inhaltlich aber nichts. Das hat mich in dem bestärkt, was ich jetzt geschrieben habe. Und wenn ich selbst an das glaube, was ich in meinem Buch schreibe, müsste ich ein Comeback anders angehen als gerade so ein Buch zu schreiben. Dann müsste ich an die Front und am lautesten schreien: „Eins und eins ist fünf, das Wahlvolk will es so, der Parteivorstand hat es deshalb beschlossen und in einer Demokratie hat die Politik auch den Primat über die Mathematik zu haben.“ Das lag mir noch nie so sonderlich. Um Erfahrungen, die ich in der Politik gemacht habe, für das Gemeinwohl zu nutzen, wenn der Ausdruck nicht zu hoch gestochen ist, bleibt mir vor allem das, was ich jetzt wieder gemacht habe, nämlich zur Feder zu greifen, die ja bekanntlich sogar mächtiger ist als das Schwert.
Frage: Was also bezwecken Sie mit Ihrem Buch?
Antwort: Ich bin und bleibe ein politischer Mensch, der sich einmischen und Gehör finden will. Sicher will ich versuchen, die Ex-Kollegen ein wach zu rütteln – die allermeisten könnten wie gesagt auch anders. Und ich will dazu beitragen, dass die Bevölkerung nicht gleich vom Glauben abfällt, wenn Politiker ihre Versprechen nicht halten können, sondern die Dinge etwas abgeklärter sieht. Wir haben uns alle bequem im hier und jetzt eingerichtet und überbieten uns darin, dem Wähler eine immer rosigere Zukunft zu versprechen. Die Gewitterwolken stehen aber schon am Horizont. Man kann das fatalistisch sehen, etwa in der Euro- und Bankenkrise. Nach dem Motto: „Geld geht immer mal wieder kaputt im Verlauf der Weltgeschichte, da wächst schon wieder etwas Neues“. Aber gerade die Deutschen sind aus ihrer Geschichte heraus da unglaublich sensibel und insgesamt ein fortschreitend hysterisches Volk, wenn es um die eigenen Interessen geht. Gerade wir müssten wissen, dass Staaten nichts für die Ewigkeit sind. Wir hatten in den letzten hundert Jahren fünf höchst unterschiedliche Staatsgebilde auf deutschem Boden. Das ist weltgeschichtlich eine sehr kurze Zeitspanne. Ich möchte nicht erleben müssen, dass eine zornige Bevölkerung unsere ganze Gesellschaftsordnung hinwegspült, weil die Politik ihr zu lange versprochen hat, es geht immer so weiter, und die Seifenblase irgendwann platzt.
Frage: Was sollte der Bürger tun und was ist von der Forderung nach mehr Bürgerbeteiligung zu halten?
Antwort: Ich bin vor vielen Jahren einmal von einem Journalisten gefragt worden, wieso ich Politik mache. Die Antwort mußte ich bis heute nicht überdenken: „Nicht so sehr, um Macht über andere auszuüben, sondern, damit keiner unkontrolliert Macht über mich ausübt“. Ich glaube, wenn viele in der Bevölkerung so denken würden, wären wir ein gutes Stück weiter. Das bedeutet aber, dass man sich ganz allgemein mehr für die Dinge des Gemeinwesens interessiert und nicht nur im Einzelfall, wenn man selbst betroffen ist. Die „Bürgerbeteiligung“, die mancher Politiker heute so sehr betont, heißt meist nur, dass man selbst aus der Führungsverantwortung entlassen werden will und dem Bürger bei kniffligen Einzelfragen die Verantwortung zurück schiebt. Daraus entstehen Klientelpolitik und Wutbürgertum. Aber keiner schaut mehr hin, was die Politiker im Allgemeinen sonst so treiben. Also, liebe Bürger: den Politikern genau auf die Finger schauen, nicht nur, wenn es um etwas geht, das einen selbst direkt betrifft!